Die Pflegesituation in Deutschland gilt derzeit als nicht zukunftstauglich. Nicht ohne Grund hat die Wiederauflage der Großen Koalition beschlossen, kurzfristig 8.000 Stellen im entsprechenden Bereich zu schaffen und die Gehälter der Pflegekräfte nach oben hin zu korrigieren. Über das Wie wird noch debattiert und auch steht jetzt schon fest, dass vor dem Hintergrund, dass allein bis 2030 die Anzahl der Pflegebedürftigen um fast 50 Prozent steigen wird, dass diese Maßnahmen bei Weitem nicht ausreichend sind. Vielmehr dürfte sich der zusätzliche Bedarf an Pflegekräften im sechsstelligen Bereich verorten lassen – wovon die 8.000 neuen Stellen weit entfernt sind.
Dass die Pflegesituation ungenügend ist, liegt dabei nicht etwa an der finanziellen Situation der Kassen. Ganz im Gegenteil: Kranken- und Pflegekassen sind voller als je zuvor und dennoch ist nicht abzusehen, dass der sich erhöhende Bedarf an Pflegekräften unter den derzeitigen Bedingungen gestemmt werden könnte. Zu schlecht seien die Gehälter und zu hoch sei die Arbeitsbelastung, liest und hört man vielerorts. Dass diese Situation dabei nicht nur für die Pfleger katastrophal ist, erübrigt sich. So leiden nicht zuletzt die Gepflegten an der Unterbesetzung in Heimen und Wohnstätten. Es kommt vielerorts den Pflegebedürftigen nicht die Zeit zu, die es für eine würdige Pflege braucht. In einigen Fällen ist die ambulante Pflege von einzelnen Menschen aufgrund von Personalmangel oder finanziellen Fragen nicht mehr möglich, was zu einem Zwangsumzug ins Heim führen kann. Dabei ist festzuhalten, dass die finanzielle Situation kleinerer Pflegedienste oftmals prekärer ist als die der Kassen.
Weitere Missstände im Pflegebereich in Deutschland
Unterbesetzung, niedrige Löhne, Stress, ein vielerorts nicht besonders gutes Pflegeniveau und die Aussicht auf eine weiter überalternde Bevölkerung trüben das Bild vom soliden Pflegversicherungssystem in Deutschland. Außerdem ist bei gegenwärtigem Stand zu erwarten, dass bis zum Jahre 2030 eine Versorgungslücke von circa 350.000 Pflegekräften entstehen wird. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass der Anteil der Erwerbstätigen sinken wird und gleichzeitig der Beruf des Pflegers nicht zu den populärsten Berufsentscheidungen zählt.
Bezeichnend ist auch, dass bei circa einem Drittel der Abrechnungen Auffälligkeiten zu finden waren und sich die Frage, ob die Leistungen tatsächlich (und von ausgebildeten Pflegekräften) erbracht worden sind. Zeitgleich kommt es oftmals zu einer schlechteren und nicht bedarfsgerechten Pflege. Beispielsweise werden circa drei Viertel aller Fälle von Wundliegen (Dekubitus) nicht ausreichend behandelt (Stand: 2016), was ebenfalls als besorgniserregend gelten darf und eine deutliche Verschlechterung gegenüber 2013 darstellt.
Außerdem steigt die Belastung für alle Beteiligten auch dadurch, dass die Anzahl der Demenzkranken und mehrfach Kranken sich stetig erhöht. Bei der Demenz und vergleichbaren Leiden ist ein Anstieg von 63,8 (2013) auf 70,7 (2916) Prozent der Pflegebedürftigen zu verzeichnen. Mit dem steigenden Durchschnittsalter der Bevölkerung wird sich dieser Prozent noch weiter erhöhen. Dabei sind gerade Leiden, die die Handlungsfähigkeit im Alltag stark einschränken, ein Grund für vermehrte Aufmerksamkeit beim Pflegen. Doch dies kann oftmals nicht gewährt werden.
Handlungsoptionen für die Zukunft
Mehr Pflegekräfte braucht das Land und die sollen unter besseren Arbeitsbedingungen die beste Pflege anbieten. Gleichzeitig soll die Qualität bei der Pflege nicht eingeschränkt werden. Diverse Interessengruppen (darunter auch viele private Bürgerinnen und Bürger) wollen allerdings am liebsten auch eine Beitragserhöhung verhindern. Die amtierende Große Koalition hat sich indes für jetzt darauf geeinigt, dass der erhöhte finanzielle Bedarf nicht zulasten der Gepflegten gehen darf.
Doch was bedeuten diese Vorhaben praktisch?
Tatsache ist, dass über die Finanzierung des Mehrbedarfs an Pflegekräften nicht allzu viel gesprochen wird. Auch die angestrebten höheren Gehälter der Pflegekräfte (vorerst wird ein flächendeckender Tariflohn angestrebt, der vor allem Ungleichheiten bei der Bezahlung beseitigen soll) müssen finanziert werden. Die Töpfe der Kassen scheinen hierbei eine heilige Kuh darzustellen, dienen sie doch der Überbrückung von Ausständen, als eiserne Reserve und nur zur Absicherung. Gegenwärtig beträgt der Überschuss der sozialen Pflegeversicherung jährlich circa eine Milliarde Euro. Weder die soziale noch die private Pflegeversicherung sind finanziell in einer Schieflage.
Die Pflegesituation in Deutschland bleibt also herausfordernd
Es ist allerdings unabdingbar, das zusätzlich benötigte Geld aufzutreiben. Gegenwärtig ist die finanzielle Lage der Pflegekassen wohl auch deshalb gut, weil es eben zu wenige Pflegekräfte gibt. Würden ad hoc die benötigten Kräfte eingestellt werden, wären die Reserven vermutlich schnell verbraucht. Jedoch stellt sich hier auch das praktische Problem der Machbarkeit: Es gibt nicht genug interessierten Nachwuchs, der die Aufgabe der Pflege übernehmen möchte. Hier wird sich die Politik einige Strategien überlegen müssen, um entweder den Beruf attraktiver zu machen oder Auslandskräfte anzuwerben.
Außerdem ist absehbar, dass Beitragserhöhungen folgen dürften. So muss es entweder zu einer Mehrbelastung der Einzahler kommen oder eben zu einer finanziellen Flexibilisierung des Versicherungssystems, welche beispielsweise am Krankenhauswesen versucht wurde. Allerdings sind die Resultate hier nicht durchgehend positiv.