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Gegen den Artenschwund – Biodiversitätsforschung in Deutschland

Wie viel Artenvielfalt braucht der Mensch? Grob zusammengefasst ist dies die zentrale Frage, mit der sich Wissenschaftler befassen, welche die Vielfalt des Lebens auf der Erde untersuchen und Maßnahmen entwickeln, sie zu erhalten. Weltweit sind unzählige Tiere und Pflanzen vom Aussterben bedroht: Wälder werden abgeholzt, Korallenriffe sterben ab, die Meere leiden unter Überfischung und Verschmutzung. Allein in Deutschland gelten ein Viertel aller Pflanzenarten und ein Drittel der Tierarten als in ihrem Bestand gefährdet. Wissenschaftler schätzen, das Arten gegenwärtig 100 bis 1000-mal schneller aussterben als unter natürlichen Bedingungen.

Diese Entwicklung wirkt sich nicht nur auf naturbelassene Lebensräume aus. Auch Haustiere und Nutzpflanzen sind davon betroffen. So sind seit dem 19. Jahrhundert etwa drei Viertel aller Sorten unserer Nahrungsmittelpflanzen verschwunden. Gleichzeitig verlangt die wachsende Weltbevölkerung nach immer mehr Ressourcen und ist auf die Natur – 75 Prozent der globalen Nutzpflanzen werden durch Tiere bestäubt – angewiesen. So wird klar, dass sich die Erforschung der Artenvielfalt nicht auf biologische Disziplinen beschränkt, sondern gesellschaftswissenschaftliche und ökonomische Fächer mit einbezieht.

Biodiversitätsforschung findet an vielen, bundesweit verteilten und dezentral strukturierten Einrichtungen statt. Dazu zählen Universitäten und Fachhochschulen, außeruniversitäre Einrichtungen, wie die Leibnitz-Gemeinschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft oder die Max-Planck-Gesellschaft sowie Museen, wissenschaftliche Sammlungen und Naturschutzorganisationen. Insgesamt sind in Deutschland weit mehr als eintausend Institutionen beteiligt, von denen knapp 100 in Forschungsnetzwerken zusammengeschlossen sind, welche einen Standortübergreifenden Austausch ermöglichen.

Sammeln, sortieren, bewerten

Als relativ junge Wissenschaft steht die Biodiversitätsforschung noch am Anfang. Schätzungen gehen davon aus, das nur zwei bis maximal zehn Prozent aller Tier- und Pflanzenarten bekannt und wissenschaftlich beschrieben sind. Daher ist deren Katalogisierung ein wesentliches Ziel vieler Projekte, bevor auf Basis verlässlicher Zahlen Methoden und Instrumente zum Erhalt der Artenvielfalt entwickelt werden können. Auf diese Weise erfährt die Taxonomie (systematische Einordnung von Arten in Stammbäumen), welche lange Zeit in verstaubten Museums-Sammlungen ein Nischendasein führte, eine neue Blüte. Sie entwickelt sich unter Einbeziehung moderner Verfahren wie Computertomografie, Laserscanning, Ultrastruktur oder Molekulargenetik zur einer High-Tech-Wissenschaft. Eines ihrer hochgesteckten Ziele ist die Erfassung aller in Deutschland lebenden Arten in einer Gen-Datenbank, dem German Barcode of Life (GBOL). An diesem Projekt sind neben zwölf wissenschaftlichen Institutionen auch Hobbyforscher, sogenannte „Bürgerwissenschaftler“ beteiligt. Weiterer Schwerpunkt und gleichzeitig Sorgenkind der Taxonomen sind die Meere und Ozeane. Obwohl sie auf der Erde den mit Abstand größten Lebensraum stellen, sind sie noch weitgehend unerforscht.

Auch wenn der Mensch die Vielfalt des Lebens kaum kennt, bezieht er daraus seit Jahrtausenden seine Nahrung, Rohstoffe für Produktionsgüter, Heilmittel usw. Die Biodiversitätsforschung versucht daher, den wirtschaftlichen Wert einzelner Arten oder ganzer Lebensräume zu erfassen und deren Verwendung z. B. in der Land- und Forstwirtschaft oder für die Medizin zu prüfen. Nicht weniger wichtig als direkte Nutzung natürlicher Güter, aber bislang kaum erforscht, sind die sogenannten Biodiversitäts-Dienstleistungen. Dazu zählen alle Stoffkreisläufe, wie die Produktion von Sauerstoff und der Abbau von Kohlendioxid, die zwar vom Prinzip her längst verstanden, aber zahlenmäßig nicht bekannt sind. In Deutschland sind Einrichtungen wie das Leibnitz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde mit konkreten Projekten beteiligt.

Natürliche Vielfalt ist nicht nur im übertragenen, sondern auch im wörtlichen Sinne grenzenlos. Alle nationalen Anstrengungen zum Erhalt der Artenvielfalt sind daher auf Dauer wirkungslos, wenn sie nicht in ein internationales Konzept eingebunden sind. Die 2014 gegründete deutsche Koordinierungsstelle des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) sammelt alle in Deutschland gewonnenen Forschungsergebnisse uns stellt Sie Wissenschaftlern anderer Länder zur Verfügung. Der IPBES, der auf eine Initiative der Vereinten Nationen zurückgeht, hat die Aufgabe, die biologische Vielfalt und den weltweiten Artenverlust zu dokumentieren und die Fakten als Entscheidungsgrundlage für die Politik bereitzustellen.